Moin! Am 25.04.2010 13:00, schrieb Frederik Ramm: > ich mache mir Sorgen, wenn ich die Wikipedia betrachte. Trotz allem, > was die Wikipedia erreicht hat, ist das kein Projekt mehr, dass ich > irgendwie sympathisch finde. Das Projekt macht auf mich den Eindruck, > als ob es langsam an Buerokratie zu Grunde geht. Die Dynamik und der > freie Geist, den das Projekt frueher hatte, werden erstickt in Regeln, > Rechten, Hierarchien. > Um es vorweg zu sagen, ich war bei Wikipedia nie wirklich aktiv. In der Anfangszeit habe ich bei einem Dutzend Artikeln einige Fakten in jeweils ein bis drei Sätzen ergänzt. Inhaltlich sind meine Ergänzungen nie verschwunden, aber sprachlich wurden alle Texte seitdem stark verbessert. Ich entnehme auch nur der Presse und den Berichten einiger enttäuschter Wikipedianer, dass sich parallel zur Professionalisierung eine starke Hierarchie und ein unschöner Umgang miteinander entwickelt hat. Der Tonfall in dieser Liste ist glücklicherweise meist halbwegs freundlich und konstruktiv. Trotzdem haben sich hier schon einige Benutzer verabschiedet, wenn ihre Vorschläge nicht angenommen wurden oder sie sich ungerecht kritisiert fühlten.
> "Die Wikipedia ist kein Projekt vieler, sondern ein Projekt weniger. > [...] Ein halbes Prozent aller aktiv gewordenen Nutzer ist für fast > zwei Drittel der Editierungen verantwortlich - ein Kreis von nicht > einmal 2000 Personen." Ist das bei OSM ganz anders? Wenn man die 1000 aktivsten Mapper in Deutschland betrachtet, haben sie wahrscheinlich auch zwei Drittel der Editierungen gemacht. Ich finde so eine Tatsache nicht tragisch. > Es ist auch denkbar, dass es ab einer gewissen Projekt-Groesse einfach > gar nicht mehr anders geht; eventuell ist "nur 10% der Arbeit kommen dem > Projekt zugute" vielleicht wirklich das theoretisch moegliche Maximum. Wir haben es natürlich leichter. Während bei Wikipedia vielleicht 90% des Inhalts aus frei formulierten Texten und nur 10% aus technischen Fakten z.B. in Listenform besteht, ist es bei OSM umgekehrt. Der weit überwiegende Teil unseres Datenbankinhalts besteht aus gemessenen Daten und der Anwendung einfacher Regeln. Wo es um Fragen der Datenbankstruktur, Abgrenzung der Objektklassen oder Relevanz geht, wird hier ebenso leidenschaftlich gestritten. Würde ein Presseartikel polemisch thematisieren, wieviele Beiträge in dieser Liste und im Forum zur Neudefinition eines Tags stattfinden bevor nur ein klärender Satz im Wiki akzeptiert wird, käme wahrscheinlich etwas ähnliches wie bei der Kritik an Wikipedia heraus. Ich würde es begrüßen, wenn am Ende einer Diskussion nach mehrfacher Nennung aller Argumente auch eine Entscheidung entweder durch Abstimmung oder durch ein halbdemokratisches Gremium steht. > Ich stelle mir die Frage, ob unser Projekt OpenStreetMap Gefaehr laeuft, > sich aehnlich zu entwickeln, ob wir auch in eine Richtung steuern, bei > der wir uns immer mehr von "denen da draussen" abkapseln, mehr und mehr > unsere eigenen Regeln aufstellen, Buerokratie aufbauen, Hierarchien > erzeugen, schliesslich bezahltes Personal beschaeftigen muessen, weil > wir unseren eigenen Freiwilligen nicht mehr ueber den Weg trauen > koennen, und und und. Einige Entwicklungen sind wahrscheinlich unvermeidlich, wenn man die OSM-Daten verfeinern und für zusätzliche Nutzungen erweitern will. Vor zwei Jahren bestand eine Kreuzung zweier Hauptstraßen mit getrennten Richtungsfahrbahnen aus vier Kreuzungspunkten. Das konnte jeder User eingeben. Heute sind zusätzlich die baulich getrennten Radwege erfasst, so dass sich 16 Kreuzungspunkte ergeben. Über die Kreuzung verlaufen möglicherweise zwei Buslinien mit zusammen vier Relationen. Dazu kommen zwei Relationen für Abbiegeverbote und zwei für Umkehrverbote. Um diese Daten fehlerfrei zu editieren ist schon eine längere Einarbeitung in die Konzepte aller Relationen nötig. Wenn in Zukunft die Abbiegespuren erfasst werden sollen, wird die Komplexität nochmals deutlich steigen. Das hehre Ziel, dass jeder ohne langes Regelstudium alles machen kann, müssten wir dann aufgeben. Wir hatten hier schon wenige Fälle von Vandalismus, SPAM und Spaßeinträgen und sehr viele Fälle, in denen User unabsichtlich Daten zerstört haben. Ich hätte nichts dagegen, wenn meine Uploads auf dem Server nochmals automatisch validiert würden. Es könnte getestet werden, ob alle Hauptstraßen unterbrechungsfrei sind und die Relationen nicht zu viele Mitglieder verloren haben, etc.. Würde ein Test anschlagen, könnte ein anderer User die Daten als Peer-Review ansehen. Für mich wäre dies kein Misstrauen sondern eine zusätzliche Sicherheit. Hätten wir die finanziellen Mittel, könnten die stupiden Arbeiten der Kontrolle und Fehlerbeseitigung auch gern von bezahlten Kräften übernommen werden. Dann könnte wir sicherlich eine höhere Datenintegrität erreichen. Gewisse Hierarchien innerhalb der User können auch nützlich sein. Wenn Frederik gelegentlich einen User gesperrt oder ein Changeset annulliert hat, erschienen mir diese Möglichkeiten sinnvoll. Ich möchte aber nicht, dass diese Werkzeuge jedem User auf Knopfdruck zur Verfügung stehen. Jedes Mehrfamilienhaus hat eine Hausordnung mit austauschbarem Inhalt, jeder Sportverein hat ähnliche Organisationsstrukturen. Trotzdem ist das Zusammenleben überall unterschiedlich. Ich glaube, dass es weniger auf die Organisationsstruktur einer Gemeinschaft sondern viel mehr auf den tatsächlichen Umgang ankommt. Die Gefahr, dass sich die unschönen Auswüchse bei der Wikipedia bei OSM wiederholen, lässt sich am besten durch respektvollen Umgang miteinander verhindern. Viele Grüße Stephan _______________________________________________ Talk-de mailing list Talk-de@openstreetmap.org http://lists.openstreetmap.org/listinfo/talk-de