On 22.01.2018 23:41, Stefan Nagy wrote:
Meiner Ansicht nach sind frühere, irgendwann eingemeindete Siedlungen an
sich für OSM (also die Hauptdatenbank) nicht von Interesse – wenn, dann als
historic… Aber soweit ich das im Wiki nachvollziehen kann ist das nicht
unbedingt erwünscht. Relevant wären solche früheren Siedlungen für OSM dann,
wenn der damalige Name für heutige Stadtteile verwendet wird.
Nikolsdorf und Hungelbrunn waren einmal. Willkürlich herausgefriffenes
Gegenbeispiel (glaub ich zumindest): Inzersdorf. Ohne es zu wissen vermute
ich, dass Leute zu dem Namen wirklich einen Bezug haben. Damit wäre es ein
Stadtteil – im Gegensatz zu den zuerst genannten.
Ich persönlich fände es toll, wenn wir ehemalige Vororte u. Ä. mit dem
historic-Key (und dem wikipedia-Tag und wikidata-Tag) einzeichenen könnten,
damit zum Beispiel Leute auf der Wikipedia sich die geographische Ausdehnung
der damaligen Vororte ansehen können. Aber wie gesagt, ich glaube sowas ist
in der Hauptdatenbank leider nicht erwünscht…
Es gibt historic=archaeological_site + site_type=settlement, aber das ist
für Siedlungen, die heute nicht mehr existieren, vom Erdboden verschwunden
sind. Es ist nicht für Siedlungen, die bis heute existieren und deren
Bewohner nur den Namen vergessen haben.
Das Problem mit vergessenen Namen betrifft nicht nur Siedlungen, sondern
auch Flurnamen, Namen von Bergen, Tälern, Wäldern, Wiesen, Bächen, Steigen,
sogar Eisenbahnen (z.B. Innere Aspangbahn, siehe
http://www.openstreetmap.org/way/27798063/history). Wir müssten alle diese
Namen, die in Vergessenheit geraten sind, aus OSM heraushalten. Aber wie
können wir als Kartografen wissen, ob ein Name in Vergessenheit geraten ist?
Alle Anwohner im Umkreis von x km befragen? Das ist nicht durchführbar!
Google fragen? Google kennt auch Nikolsdorf...
Ich finde, bevor wir Namen wie Nikolsdorf und die Innere Aspangbahn, die
zumindest in der Literatur belegt sind, in Frage stellen, sollten wir uns
erst mal um die vielen falschen Flurnamen kümmern, die von Sofamappern
ebenso wie die falschen Straßennamen unreflektiert aus der Basemap
abgeschrieben wurden. Diese Flurnamen sind teils an der falschen Stelle,
teils falsch geschrieben, teils sind es in Wahrheit gar keine Flurnamen,
sondern Namen von Bergen, Wäldern usw.
Kastralgemeinden sind etwas Gegenwärtiges und damit gibt es jedenfalls kein
Argument sie nicht einzutragen. Aber wenn das dann so ausgewertet wird, dass
ich im Bezirk Margareten in der KG Margarethen (und ganz abseits davon wie
erwähnt in Nikolsdorf) wohne, dann stimmt da was definitiv nicht… Vielleicht
wäre zumindest admin_level=11 statt 10 angemessener? Aus dem Wiki:
"admin_level=11 kann bei Bedarf für eine weitere administrative, meist nur
statistische oder historische Einteilung hinzugefügt werden".
Dass bezüglich des Taggings von Katastralgemeinden unterschiedliche
Meinungen existieren, habe ich schon angesprochen. Vorbehalte existieren vor
allem gegen boundary=administrative. Wenn du dir aber die Tabelle auf
https://wiki.openstreetmap.org/wiki/Tag:boundary%3Dadministrative#10_admin_level_values_for_specific_countries
ansiehst, wird dir aber auffallen, dass es international üblich ist,
Ortsteile mit boundary=administrative
+ admin_level=10 zu taggen. Insbesondere in CZ und SK, die wie wir die
Katastralgemeinden aus der Monarchie übernommen haben, taggt man sie auf
diese Weise. Auch in Österreich haben mehrere Mapper unabhängig voneinander
für Katastralgemeinden diese Tags gewählt.
Angesichts der geringen praktischen Bedeutung von Katastralgemeinden in Wien
fragt man sich natürlich, ob es wirklich Sinn macht sie in Karten oder in
Nominatims zusammengestückelten Ortsangaben anzuzeigen. In ländlichen
Gemeinden scheinen Katastralgemeinden aber durchaus von praktischer
Bedeutung, so wird in Berichten von Feuerwehr- und Rettungseinsätzen oft die
Katastralgemeinde angegeben, und in http://www.openstreetmap.org/note/486152
beklagt sich jemand, dass die Grenzen noch nicht eingezeichnet sind.
Diese Zuordnungen in Suchergebnissen auf openstreetmap.org und auch bei
Map Notes sind z.T. völlig falsch, das ist nicht nur bei Nikolsdorf ein
Problem. Anscheinend wird in jeder Hierarchieebene der nächste Node für
die Lageangabe herangezogen, und so gehört für Nominatim der ganze
Anninger zum Richardshof und vielleicht auch der halbe fünfte Bezirk zu
Nikolsdorf.
Wäre die Lösung da nicht einfach die, keinen Node zu setzen sondern eine
Area zu zeichenen? Also ich kann mir gut vorstellen, dass es für Nominatim
nicht ganz einfach ist, das Handling der Nodes weltweit zufriedenstellend
umzusetzen…
Nominatim könnte vieles besser machen, aber die Priorität wurde von den
Entwicklern nicht auf korrekte Ergebnisse, sondern auf kurze Verzögerung
zwischen Datenedits und Aufscheinen in den Suchergebnissen gelegt. Jetzt die
Daten inkorrekt zu mappen als Workaround für eine inkorrekte Auswertung
würde diese unbefriedigenden Verhältnisse einzementieren.
Es hat schon seinen Sinn, dass place-Nodes auf Siedlungskerne gesetzt
werden: Erstens weil die Bebauungsdichte von Siedlungen nach außen hin
abnimmt und die Siedlungen somit unscharf begrenzt sind, zweitens weil
Siedlungen oft zusammengewachsen sind und somit ebenfalls keine scharfe
Grenze existiert, drittens weil man beim Routing zum Ortskern geroutet
werden will und nicht zu einem mehr oder weniger zufälligen Punkt in einer
Fläche. Auch wenn ich in der Karte nach "Wien" suche, erwarte ich, dass der
Marker am Stephansplatz angezeigt wird und nicht etwa am arithmetischen
Mittelwert aus max+min lat/lon der Gemeindefläche.
Im obigen Beispiel Richardhof wüsste ich nicht, was ich alles zur Fläche
dazunehmen sollte. Nur das Gasthaus oder auch den Parkplatz oder auch das
Gehöft 250m WSW, oder auch den Golfplatz?
Also wenn die Häuserzeilen in der Nikolsdorfer Gasse seit der Einverleibung
1850 damals in den 4. Bezirk auch nur halbwegs unverändert erhalten wären,
dann wäre das ein gutes Beispiel für ein völliges Versagen des
Österreichischen Denkmalamtes… Es gibt kein einziges Gebäude vor dieser Zeit
unter Denkmalschutz dort (das Hartmannspital wurde erst Ende des 19.
Jahrhunderts erbaut). Im Wien-Geschichte-Wiki haben sie eine nette Postkarte
von 1912 zur Illustration des Artikels zu Nikolsdorf verwendet; der Titel:
"Der letzte Rest vom alten Nikolsdorf" (hier die Quelle:
https://www.digital.wienbibliothek.at/wbrobv/content/pageview/2037468). Ich
geh da immer wieder durch und erkenne nichts wieder…
Was mit dem "alten Nikolsdorf" gemeint ist, ist relativ. Was heute alt ist,
war damals neu, und was damals alt war, war noch früher neu. Nikolsdorf
weist eine ununterbrochene Siedlungsgeschichte von ca. 1560 bis heute auf,
und wenn keine Häuser aus dem 16. Jahrhundert erhalten sind, dann liegt das
halt an der geringen Grundwahrscheinlichkeit in Verbindung mit der geringen
Ausdehnung dieser Siedlung. Wenn man die Nikolsdorfer Gasse runter geht und
dann weiter die Schlossgasse, kommt man bei Hausnr. 21 zu einer Tafel, wo
von "uraltem Gemäuer" aus dem 14. Jahrhundert die Rede ist. Da wollte es
halt der Zufall, dass davon noch etwas erhalten blieb.
In Wiener Neustadt blieben im 2. Weltkrieg nur 6 Häuser unbeschädigt, aber
wie in Nikolsdorf wurden die Häuser im wesentlichen dort wiederaufgebaut, wo
auch zuvor schon welche gestanden waren, und so blieb die Struktur
vollkommen erhalten. Die Bewohner fühlten sich weiter als Wiener Neustädter,
und wenn das bei den Nikolsdorfern anders ist, dann offenbar wegen der
Fluktuation der Bevölkerung und dem Desinteresse an der Geschichte.
So ein Desinteresse nehme ich auch als Höhlenforscher wahr, wenn ich Leute
wegen einer Höhle auf ihrem Grundstück kontaktiere und sie mich abweisen mit
dem Hinweis, dass sie nichts davon wissen wollen.
Wenn wir uns nach solchen Leuten richten, müssen wir sehr viel aus OSM
rauslöschen...
--
Friedrich K. Volkmann http://www.volki.at/
Adr.: Davidgasse 76-80/14/10, 1100 Wien, Austria
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