Hallo,

Tirkon wrote:
Der "freie" Gedanke basiert darauf, dass unter Zuhilfenahme freier
Dinge (Geodaten/OSM, Texte/Wikipedia, Bilder und Dateien/Wikimedia
Commons, Software) keine unfreien/proprietären sondern nur freie Dinge
produziert werden dürfen.

Das ist in dieser Allgemeinheit falsch. Mit dem freien OpenOffice kann ich ein proprietaeres Buch schreiben. Mit dem freien gcc proprietaeren Code schreiben. Freie Bibliotheken (unter LGPL) in mein Programm einbinden, ohne dies freizugeben.

Platt gesagt: Es ist noch niemand bisher
gelungen, freie Dinge zu nehmen ohne zu geben.

Auch diese Verallgemeinerung ist falsch. Sehr viele Leute "nehmen" taeglich Linux, Openoffice, oder die OSM-Weltkarte, ohne ein Iota zu "geben". Mir ist klar, dass Du das weisst, aber es ist mir wichtig, dieser Rhetorik vom Nehmen-ohne-Geben Einhalt zu gebieten; es klingt immer so, als wuerde eine Share-Alike-Lizenz uns davor schuetzen, dass jemand von unsere Daten profitiert und wir nichts davon abbekommen, aber das ist nicht der Fall. Nehmen-ohne-Geben ist der Standard - wie viele Leute lesen Wikipedia-Artikel, und wie viele Leute tragen aktiv bei?

Im Bereich der Software klappt das mit der GPL recht gut, weil man da erstens ganz klar im Bereich des Urheberrechts operiert, und weil zweitens auch der Unterschied ganz klar ist: Habe ich einen neuen Compiler basierend auf dem gcc hergestellt - oder habe ich nur den gcc benutzt, um etwas ganz anderes herzustellen? In unserem Bereich - Geodaten - sind beide Punkte viel waessriger.

Wenn es unter der ODBL möglich ist (z.B. über den Umweg von Layern)
proprietäres Material (z.B. POIs) unter Zuhilfename von OSM verortbar
darzustellen, dann ist hier die Kette "frei + irgendetwas = frei"
unterbrochen.

Zunaechst einmal die Anmerkung: Man kann nur Rechte kontrollieren, die man auch (von rechts wegen) hat. Wenn ich mich auf den Marktplatz stelle und "HA!" rufe, habe ich hieran aller Wahrscheinlichkeit nach keine Rechte, ich kann also auch nicht mein "HA!" als frei deklarieren und von jedem, der damit irgendwas macht, etwas verlangen.

Grundlage jeder "frei + irgendwas = frei"-Regel, auch "share-alike" genannt, muss also irgendein Recht oder Gesetz sein, dass (so paradox das klingt) das "freie" erstmal unfrei macht und seine Nutzung abhaengig von der Zustimmung des Autors oder Rechteinhabers. Denn an etwas, von Natur aus "frei" ist, kann niemand Bedingungen knuepfen.

Leider bin ich mir nicht ganz sicher, was Du mit "POIs unter Zuhilfenahme von OSM verortbar darstellen" meinst. Ich versuche mich mal an ein paar Szenarien:

1. Angenommen, Du hast eine Adresse eines einzelnen POI und willst den auf einer Karte einzeichnen. Du machst per Nominatim eine Adress-Suche und laesst Dir dann selber eine Karte rendern mit dem Punkt an der richtigen Stelle.

In diesem Fall hast Du ein "Produced Work" geschaffen, das nicht frei sein muss, weil es keine Datenbank ist. ODbL fordert share-alike nur fuer Datenbanken. - Unter der CC-BY-SA haette dieses Werk frei sein muessen, wobei Kritiker natuerlich sagen wuerden, dass eine einzelne Adresse keine Schoepfungshoehe hat und daher die Rechtsgrundlage fehlt.

2. Angenommen, Du betreibst einen Web-Dienst, der das Internet nach "Impressum"-Seiten absucht und die Adressen davon automatisch mit OSM verortet. Das Resultat (viele hundert oder tausend Adressen) speicherst Du in einer eigenen Datenbank, und Dein Web-Dienst bietet eine Karte an, auf der diese POIs eingezeichnet sind.

In diesem Fall hast Du eine "Derived Database" (die POI-Datenbank) geschaffen und darauf basierend ein "Produced Work" (die Karte). Die Karte kann lt. ODbL unter einer beliebigen Lizenz sein, aber die Datenbank musst Du unter ODbL freigeben. - Unter der CC-BY-SA waere das genau andersrum gewesen, die Datenbank haettest Du fuer Dich behalten duerfen, aber die Karte haette frei sein muessen.

3. Angenommen, Du hast zu Deinen POIs eh schon die Positionen und willst sie nur auf eine OSM-Karte einzeichnen. Dann kannst Du das in einem Extra-Layer machen und musst weder unter der alten noch unter der neuen Lizenz Deine POIs freigeben.

4. Angenommen, Du machst etwas aehnliches wie in 2., aber in einem ganz kleinen Rahmen, vielleicht nur fuer 20 POIs oder so. In diesem Fall gilt eine Ausnahme, weil Du OSM nicht "substantiell" benutzt, und Du musst nichts veroeffentlichen. Diese Ausnahme ist im EU-Datenbankrecht begruendet, das es dem Datenbankbetreiber explizit untersagt, dem Nutzer fuer "nicht substantielle" Nutzung irgendwelche Vorschriften zu machen. - Unter der CC-BY-SA haben wir derzeit den Anspruch, dass wir solche Ausnahmen nicht zulassen, aber das ist nur durchsetzbar, wenn das Urheberrecht auf unsere Daten zutrifft, was viele anzweifeln.

Ich bin mir dabei im Klaren, dass vermutlich auch die jetzige Lizenz
dies nicht sicherstellt. Aber wenn eine Umstellung derart aufwendig
ist, dann bitte auch wirksam.

Man muss dabei das Ziel von OSM im Auge behalten. Das Ziel ist nicht eine freie Welt, in der so viel Dinge wie moeglich unter freien Lizenzen stehen, sondern das Ziel sind freie Geodaten. Das Szenario 2 zeigt deutlich, wo die Reise hingehen soll: Irgendwelche gedruckten Karten oder gerenderten Tiles interessieren uns nicht, genauso wie sich Richard Stallman nicht dafuer interessiert, welchen Code Du mit dem gcc compilierst. Aber wenn jemand auf Basis unserer Daten eine Geodatenbank macht, dann interessiert uns das. Insofern wirkt die ODbL genau dort, wo es fuer unser Projekt interessant ist, anstatt an der Peripherie.

Bye
Frederik

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